Gedichte von Erich Fried ...

eine Lyrik

die verzaubert ..

Erich Fried, 1921 - 1988

 

 

 

Nur nicht


Vielleicht wäre das Leben einfacher wenn ich dich gar nicht getroffen hätte

Weniger Trauer jedes Mal wenn wir uns trennen müssen
Weniger Angst vor der nächsten und übernächsten Trennung

Und nicht soviel von dieser machtlosen Sehnsucht wenn du nicht da bist 
die nur das unmögliche will
und das sofort
im nächsten Augenblick

und dann
weil es nicht sein kann
betroffen ist
und schwer atmet

Vielleicht wäre das Leben einfacher wenn ich dich nicht getroffen hätte

es wäre nur nicht mein Leben


Erich Fried

 

 

 

 

Erwartung

 

Deine ferne Stimme

ganz nahe am Telefon -

und ich werde sie bald aus der Nähe

entfernter hören

weil sie dann von deinem Mund

bis zu meinen Ohren

den langen Weg nehmen muß

hindurch zwischen deinen Brüsten

über den Nabel hin

und den kleinen Hügel

deinen ganzen Körper entlang

an dem zu hinabsiehst

bis hinunter zu meinem Kopf

dessen Gesicht

vergraben ist zwischen deine gehobenen Schenkel

in deine Haare

und in deinen Schoß

 

 

Was es ist

 

Es ist Unsinn

sagt die Vernunft

Es ist was es ist

sagt die Liebe

 

Es ist Unglück

sagt die Berechnung

Es ist nichts als Schmerz

sagt die Angst

Es ist aussichtslos

sagt die Einsicht

Es ist was es ist

sagt die Liebe

 

Es ist lächerlich

sagt der Stolz

Es ist leichtsinnig

sagt die Vorsicht

Es ist unmöglich

sagt die Erfahrung

Es ist was es ist

sagt die Liebe

 

 

Dich

 

Dich

dich sein lassen

ganz dich

 

Sehen

daß du nur du bist

wenn du alles bist

was du bist

das Zarte

und das Wilde

das was sich losreißen

und das was sich anschmiegen will

 

Wer nur die Hälfte liebt

der liebt dich nicht halb

sondern gar nicht

der will dich zurechtschneiden

amputieren

verstümmeln

 

Dich dich sein lassen

ob das schwer oder leicht ist?

Es kommt nicht darauf an mit wieviel

sondern mit wieviel Liebe und mit wieviel

offener Sehnsucht nach allem -

nach allem

was du ist

 

Nach der Wärme

und nach der Kälte

nach der Güte

und nach dem Starrsinn

und deinem Willen

und Unwillen

nach jeder deiner Gebärden

nach deiner Ungebärdigkeit

Unstetigkeit

Stetigkeit

 

Dann

ist dieses

dich dich sein lassen

vielleicht gar nicht so schwer.

 

 

Du

 

Wo keine Freiheit ist

bist du die Freiheit

Wo keine Würde ist

bist du die Würde

Wo keine Wärme ist

keine Nähe von Mensch zu Mensch

bist du die Nähe und Wärme

Herz der herzlosen Welt

 

Deine Lippen und deine Zunge

sind Fragen und Antwort

In deinen Armen und deinem Schoß

ist etwas wie Ruhe

Jedes Fortgehenmüssen von dir

geht zu auf das Wiederkommen

Du bist ein Anfang der Zukunft

Herz der herzlosen Welt

 

Du bist kein Glaubensartikel

und keine Philosophie

keine Vorschrift und kein Besitz

an den man sich klammert

Du bist ein lebender Mensch

du bist eine Frau

und kannst irren und zweifeln und gutsein

Herz der herzlosen Welt

 

 

 

 

Zwischenspiel

 

Und wenn mein Zeigefinger

schon naß ist von dir

mir noch Zeit nehmen

und mit meiner Kuppe

auf deinen Bauch

ein Herz malen

so daß dein Nabel

mitten im Herzen der Stelle ist

wo angeblich Amors Pfeil

das Herz durchbohrt hat

und dann erst

wenn du erraten hast

daß es ein Herz war

was ich auf dich

gezeichnet habe

...

 

 

Gedankenfreiheit

 

Wenn ich an deinen Mund denke

wie du mir etwas erzählst

dann denke ich

an deine Worte

und an deine Gedanken

und an des Ausdruck

deiner Augen

beim Sprechen

 

Aber wenn ich an deinen Mund denke

wie er an meinem Mund liegt

dann denke ich

an deinen Mund

und an deinen Mund

und an deinen Mund

und an deinen Schoß

und an deine Augen

 

 

Liebesgedicht

 

Verschließe meinen Mund mit deinem Schoß

Die kurze Zeit laß mich ein Teil von dir sein

und dich von mir. Als könnte wirklich

ein Teil sein Ganzes je so überraschen

mit Glück, mit Lust. Da bebt und schmilzt die Welt

auf unseren vier Lippen. Da und da

ist jedes Wort nur noch Umschreibung, ärmer

als das was ist und sich bewegt und lebt

 

Und doch bleibt dieses oder jenes Wort

vielleicht ein Abglanz, eine Spur, an der

noch zu erkennen wäre, wie wir beide

als wir noch beide hier waren, einander

gut kannten. Spur nur, blaß und viel zu trocken

und ohne dein Vibrieren, deinen Duft

und ganz vorbei

doch noch nicht ganz vergessen

 

 

 

 

Wollen

 

Bei dir sein wollen

Mitten aus dem was man tut

weg sein wollen

bei dir verschwunden sein

 

Nichts als bei dir

näher als Hand an Hand

enger als Mund an Mund

bei dir sein wollen

 

In dir zärtlich zu dir sein

dich küssen von außen

und dich streicheln von innen

so und so und auch anders

 

Und dich einatmen wollen

immer nur einatmen wollen

tiefer tiefer

und ohne Ausatmen trinken

 

Aber zwischendurch Abstand suchen

um dich sehen zu können

aus ein zwei Handbreit Entfernung

und dann dich weiterküssen

 

 

Was

 

Was bist du mir?

Was sind mir deine Finger

und was deine Lippen?

Was ist mir der Klang deiner Stimme?

Was ist mir dein Geruch

vor unserer Umarmung

und dein Duft

in unserer Umarmung

und nach ihr?

 

Was bist du mir?

Was bin ich dir?

Was bin ich?

 

Ein Link zu einer besonders schönen Page für

Erich Fried

http://www.childrentooth.de/fried/

... wo noch mehr seiner schönen Werke zu finden sind ...

Erich Fried

 

 

Erich Fried wurde am 6. Mai 1921 in Wien geboren und wuchs dort auf. 
Sein Vater war Spediteur, seine Mutter Grafikerin. Er schrieb bereits als Gymnasiast, war Mitglied einer Kinderschauspieltruppe, bis der deutsche Einmarsch
1938
ihn »aus einem österreichischen Oberschüler in einen verfolgten Juden verwandelte.« 
Der Vater wurde von der Gestapo ermordet, Fried gelang es, nach London zu fliehen, und in den folgenden Monaten auch seine Mutter und mehr als siebzig andere Personen ins englische Exil zu retten. 

In den Kriegsjahren hielt sich Fried mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser, als Bibliothekar, Milchchemiker, Fabrikarbeiter. Er schloss sich dem »Freien Deutschen Kulturbund« und »Young Austria« an, später auch dem »Kommunistischen Jugendverband«, den er aber wegen dessen Stalinisierung bereits
1944
wieder verließ. Im gleichen Jahr erschien sein erster Gedichtband, »Deutschland«, im Exilverlag des österreichischen PEN. 
Nach dem Krieg wird Fried Mitarbeiter an zahlreichen neugegründeten Zeitschriften, in den frühen fünfziger Jahren festangestellter politischer Kommentator der deutschsprachigen Sendungen der BBC; 
1968 gab er wegen der unveränderten Kalten-Kriegs-Position der BBC diese Tätigkeit auf. Schon vorher hatte er sich mit der Übersetzung von Dylan Thomas, dem ersten größeren Gedichtband (»Gedichte«, 1958 ) und seinem einzigen Roman (»Ein Soldat und ein Mädchen«, 1960) einen Namen gemacht, ab 1965
gehörte er der »Gruppe 47« an; in dieser Zeit entstanden auch die ersten Übersetzungen von Stücken Shakespeares. Eine Übersiedlung von London nach Österreich oder Deutschland wurde erwogen, wegen der Restauration der fünfziger und frühen sechziger Jahre aber immer wieder verworfen. 
1966
erschien sein Gedichtband »und Vietnam und«, der eine langandauernde öffentliche Diskussion (auch mit Kollegen) über das politische Gedicht auslöste. In den folgenden Jahren war Fried viel unterwegs- auf Vortragsreisen; Diskussions- und Solidaritätsveranstaltungen ~, nahm in vielen politischen Fragen Partei (Pressekonzentration, Unterdrückung des Prager Frühlings, Israel und die Palästinenser, Polizeiübergriffe, Haftbedingungen politischer Gefangener) und wurde, als Folge, mit Verleumdungen, Zensur und gerichtlicher Klage überzogen. Er, der gegenüber dem politischen Gegner stets Liebenswürdige und Verständnisvolle, hatte schnell mehr Feinde, als er lieben konnte. 
Erst
1977 erhielt Fried den ersten ansehnlichen Preis, den »Prix International des Editeurs«; das prämierte Buch, »l00 Gedichte ohne Vaterland«, erschien im folgenden Jahr in sieben Sprachen (in den preisstiftenden Verlagen) und wurde das erste erfolgreiche Buch, übertroffen lediglich von dem 1979 erschienenen Band »Liebesgedichte«. 1986
veröffentlichte er, in der losen Form von 29 Prosastücken, seine Erinnerungen (»Mitunter sogar Lachen«). 
Der Ruhm und die großen Literaturpreise (Bremer Literaturpreis, Österreichischer Staatspreis, Georg-Büchner-Preis) erreichten Fried erst als über Sechzigjährigen und schon lange Schwerkranken. 

Erich Fried starb am
22. November 1988 während einer Lesereise und wurde auf dem Kensal Green in London begraben.



 

 

 
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