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Nur nicht |
Vielleicht wäre das Leben einfacher wenn ich dich gar nicht getroffen hätte
Weniger Trauer jedes Mal wenn wir uns trennen müssen Weniger Angst vor der nächsten und übernächsten Trennung
Und nicht soviel von dieser machtlosen Sehnsucht wenn du nicht da bist die nur das unmögliche will und das sofort im nächsten Augenblick
und dann weil es nicht sein kann betroffen ist und schwer atmet
Vielleicht wäre das Leben einfacher wenn ich dich nicht getroffen hätte
es wäre nur nicht mein Leben
Erich Fried

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Erwartung
Deine ferne Stimme
ganz nahe am Telefon -
und ich werde sie bald aus der Nähe
entfernter hören
weil sie dann von deinem Mund
bis zu meinen Ohren
den langen Weg nehmen muß
hindurch zwischen deinen Brüsten
über den Nabel hin
und den kleinen Hügel
deinen ganzen Körper entlang
an dem zu hinabsiehst
bis hinunter zu meinem Kopf
dessen Gesicht
vergraben ist zwischen deine gehobenen Schenkel
in deine Haare
und in deinen Schoß
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Was es ist
Es ist Unsinn
sagt die Vernunft
Es ist was es ist
sagt die Liebe
Es ist Unglück
sagt die Berechnung
Es ist nichts als Schmerz
sagt die Angst
Es ist aussichtslos
sagt die Einsicht
Es ist was es ist
sagt die Liebe
Es ist lächerlich
sagt der Stolz
Es ist leichtsinnig
sagt die Vorsicht
Es ist unmöglich
sagt die Erfahrung
Es ist was es ist
sagt die Liebe
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Dich
Dich
dich sein lassen
ganz dich
Sehen
daß du nur du bist
wenn du alles bist
was du bist
das Zarte
und das Wilde
das was sich losreißen
und das was sich anschmiegen will
Wer nur die Hälfte liebt
der liebt dich nicht halb
sondern gar nicht
der will dich zurechtschneiden
amputieren
verstümmeln
Dich dich sein lassen
ob das schwer oder leicht ist?
Es kommt nicht darauf an mit wieviel
sondern mit wieviel Liebe und mit wieviel
offener Sehnsucht nach allem -
nach allem
was du ist
Nach der Wärme
und nach der Kälte
nach der Güte
und nach dem Starrsinn
und deinem Willen
und Unwillen
nach jeder deiner Gebärden
nach deiner Ungebärdigkeit
Unstetigkeit
Stetigkeit
Dann
ist dieses
dich dich sein lassen
vielleicht gar nicht so schwer.
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Du
Wo keine Freiheit ist
bist du die Freiheit
Wo keine Würde ist
bist du die Würde
Wo keine Wärme ist
keine Nähe von Mensch zu Mensch
bist du die Nähe und Wärme
Herz der herzlosen Welt
Deine Lippen und deine Zunge
sind Fragen und Antwort
In deinen Armen und deinem Schoß
ist etwas wie Ruhe
Jedes Fortgehenmüssen von dir
geht zu auf das Wiederkommen
Du bist ein Anfang der Zukunft
Herz der herzlosen Welt
Du bist kein Glaubensartikel
und keine Philosophie
keine Vorschrift und kein Besitz
an den man sich klammert
Du bist ein lebender Mensch
du bist eine Frau
und kannst irren und zweifeln und gutsein
Herz der herzlosen Welt
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Zwischenspiel
Und wenn mein Zeigefinger
schon naß ist von dir
mir noch Zeit nehmen
und mit meiner Kuppe
auf deinen Bauch
ein Herz malen
so daß dein Nabel
mitten im Herzen der Stelle ist
wo angeblich Amors Pfeil
das Herz durchbohrt hat
und dann erst
wenn du erraten hast
daß es ein Herz war
was ich auf dich
gezeichnet habe
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Gedankenfreiheit
Wenn ich an deinen Mund denke
wie du mir etwas erzählst
dann denke ich
an deine Worte
und an deine Gedanken
und an des Ausdruck
deiner Augen
beim Sprechen
Aber wenn ich an deinen Mund denke
wie er an meinem Mund liegt
dann denke ich
an deinen Mund
und an deinen Mund
und an deinen Mund
und an deinen Schoß
und an deine Augen
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Liebesgedicht
Verschließe meinen Mund mit deinem Schoß
Die kurze Zeit laß mich ein Teil von dir sein
und dich von mir. Als könnte wirklich
ein Teil sein Ganzes je so überraschen
mit Glück, mit Lust. Da bebt und schmilzt die Welt
auf unseren vier Lippen. Da und da
ist jedes Wort nur noch Umschreibung, ärmer
als das was ist und sich bewegt und lebt
Und doch bleibt dieses oder jenes Wort
vielleicht ein Abglanz, eine Spur, an der
noch zu erkennen wäre, wie wir beide
als wir noch beide hier waren, einander
gut kannten. Spur nur, blaß und viel zu trocken
und ohne dein Vibrieren, deinen Duft
und ganz vorbei
doch noch nicht ganz vergessen
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Wollen
Bei dir sein wollen
Mitten aus dem was man tut
weg sein wollen
bei dir verschwunden sein
Nichts als bei dir
näher als Hand an Hand
enger als Mund an Mund
bei dir sein wollen
In dir zärtlich zu dir sein
dich küssen von außen
und dich streicheln von innen
so und so und auch anders
Und dich einatmen wollen
immer nur einatmen wollen
tiefer tiefer
und ohne Ausatmen trinken
Aber zwischendurch Abstand suchen
um dich sehen zu können
aus ein zwei Handbreit Entfernung
und dann dich weiterküssen
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Was
Was bist du mir?
Was sind mir deine Finger
und was deine Lippen?
Was ist mir der Klang deiner Stimme?
Was ist mir dein Geruch
vor unserer Umarmung
und dein Duft
in unserer Umarmung
und nach ihr?
Was bist du mir?
Was bin ich dir?
Was bin ich?
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Ein Link zu einer besonders schönen Page für
Erich Fried
http://www.childrentooth.de/fried/
... wo noch mehr seiner schönen Werke zu finden sind ...

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Erich Fried wurde am 6. Mai 1921 in Wien geboren und wuchs dort auf. Sein Vater war Spediteur, seine Mutter Grafikerin. Er schrieb bereits als Gymnasiast, war Mitglied einer Kinderschauspieltruppe, bis der deutsche Einmarsch 1938 ihn »aus einem österreichischen Oberschüler in einen verfolgten Juden verwandelte.« Der Vater wurde von der Gestapo ermordet, Fried gelang es, nach London zu fliehen, und in den folgenden Monaten auch seine Mutter und mehr als siebzig andere Personen ins englische Exil zu retten.
In den Kriegsjahren hielt sich Fried mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser, als Bibliothekar, Milchchemiker, Fabrikarbeiter. Er schloss sich dem »Freien Deutschen Kulturbund« und »Young Austria« an, später auch dem »Kommunistischen Jugendverband«, den er aber wegen dessen Stalinisierung bereits 1944 wieder verließ. Im gleichen Jahr erschien sein erster Gedichtband, »Deutschland«, im Exilverlag des österreichischen PEN. Nach dem Krieg wird Fried Mitarbeiter an zahlreichen neugegründeten Zeitschriften, in den frühen fünfziger Jahren festangestellter politischer Kommentator der deutschsprachigen Sendungen der BBC; 1968 gab er wegen der unveränderten Kalten-Kriegs-Position der BBC diese Tätigkeit auf. Schon vorher hatte er sich mit der Übersetzung von Dylan Thomas, dem ersten größeren Gedichtband (»Gedichte«, 1958 ) und seinem einzigen Roman (»Ein Soldat und ein Mädchen«, 1960) einen Namen gemacht, ab 1965 gehörte er der »Gruppe 47« an; in dieser Zeit entstanden auch die ersten Übersetzungen von Stücken Shakespeares. Eine Übersiedlung von London nach Österreich oder Deutschland wurde erwogen, wegen der Restauration der fünfziger und frühen sechziger Jahre aber immer wieder verworfen. 1966 erschien sein Gedichtband »und Vietnam und«, der eine langandauernde öffentliche Diskussion (auch mit Kollegen) über das politische Gedicht auslöste. In den folgenden Jahren war Fried viel unterwegs- auf Vortragsreisen; Diskussions- und Solidaritätsveranstaltungen ~, nahm in vielen politischen Fragen Partei (Pressekonzentration, Unterdrückung des Prager Frühlings, Israel und die Palästinenser, Polizeiübergriffe, Haftbedingungen politischer Gefangener) und wurde, als Folge, mit Verleumdungen, Zensur und gerichtlicher Klage überzogen. Er, der gegenüber dem politischen Gegner stets Liebenswürdige und Verständnisvolle, hatte schnell mehr Feinde, als er lieben konnte. Erst 1977 erhielt Fried den ersten ansehnlichen Preis, den »Prix International des Editeurs«; das prämierte Buch, »l00 Gedichte ohne Vaterland«, erschien im folgenden Jahr in sieben Sprachen (in den preisstiftenden Verlagen) und wurde das erste erfolgreiche Buch, übertroffen lediglich von dem 1979 erschienenen Band »Liebesgedichte«. 1986 veröffentlichte er, in der losen Form von 29 Prosastücken, seine Erinnerungen (»Mitunter sogar Lachen«). Der Ruhm und die großen Literaturpreise (Bremer Literaturpreis, Österreichischer Staatspreis, Georg-Büchner-Preis) erreichten Fried erst als über Sechzigjährigen und schon lange Schwerkranken.
Erich Fried starb am 22. November 1988 während einer Lesereise und wurde auf dem Kensal Green in London begraben. |
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